Schiefbahner Historie

 

So hat sich Schiefbahn entwickelt.

Das Schiefbahner Wappen zeigt in grünem Feld über einer silbernen St. Hubertus – Trophäe mit goldenem Geweih und goldenem Kreuz eine silberne, beschossene Scheibe, flankiert von zwei silbernen, goldbestielten, mittelalterlichen Armbrustschießbolzen, rechts ein Spitzbolzen für die Schießscheibe, links ein Stumpfbolzen für das Tontaubenschießen.

Das Wappen, das seit 1947 bis 1970 ( Zusammenlegung der Stadt Willich) geführt wird, vereinigt das Sinnbild des Ortsnamens ( der Name Schiefbahn wird mit dem niederdeutschen Wort Schiefbahn / Schießscheibe in Zusammenhang gebracht) mit dem Symbol des Pfarrpatrons.

Eines der wenigen erhaltenen Naturdenkmäler der ehemaligen Gemeinde Schiefbahn ist der von Napoleon erbaute Nordkanal.

Er hat eine große Geschichte, denn schon die Römer trugen sich in den Jahren 14 – 54 n. Chr. mit dem Gedanken, eine Verbindung vom Rhein zur Maas zu schaffen. Wie kaum ein anderer Bereich lassen sich an diesem Projekt die Geschichte und Entwicklung des Dorfes ablesen.

Das Bett des Nordkanals ist ein altes Urstromtal, in dem einst der Rhein ins heutige Nierstal und weiter zur Maas floss. Ein Rheinarm ging noch im Jahre 1254 an Schiefbahn vorbei durch dieses Tal, der dann aber versumpfte, vermoderte und vertorfte und das große Bruch entstehen ließ.

So war das Gebiet der Gemeinde einstmals Flussbett, teilweise Überschwemmungs- und Ufergebiet. Die ältesten Siedler folgten etwa 3000 v. Chr. diesem alten Rheinbett, das mit Beginn der Besiedlung
bis auf wenige Stellen verlandete und von undurchdringlichem Auenwald bedeckt war. Dieses Rheinbett ist den Siedlern Wegweiser in unsere Heimat geworden. Von Neuss ging ein uralter Weg über Kaarst,
Schiefbahn (Römerstraße, Tupsheide, Hochstraße, Wilhelm-Hörmes-Straße, Alte Poststraße) zur Maas und folgte damit in gerader Führung dem hohen Ufer des alten Stromlaufes.

Zahlreiche an dieser Straße gemachten Bodenfunde, die in die vorchristliche Zeit fallen, liefern den geschichtlichen Beweis für eine Besiedlung Schiefbahns schon in dieser Zeit. Römische Gräber, Baureste und Scherben aus dem 2. Jh. beweisen die Anwesenheit römischer Legionäre, welche 12 v. Chr. in Neuss ein Lager errichtet hatten. Seit dem 3. Jh. stießen die unter dem Namen Franken
vereinigten germanischen Stämme gegen die römische Rheingrenze vor; im Jahre 401 brach die römische Macht am Rhein zusammen.

Unsere Gegend kam zum Frankenreich. Von den Franken sind uns keine Nachrichten übermittelt, so dass wir über die Besiedlung bis um das Jahr 1000 kaum unterrichtet sind. Nach dieser Zeit wird allerdings eine Besiedlung erkennbar, als sich in Hofverbänden eine rege Siedlungstätigkeit entwickelte und ihre Eigentümer zu kleinen Territorialherren wurden. 

Das Gebiet um Schiefbahn kam zum Hofverband des Amtes Liedberg.
In das 12. Jh. reicht die Anlage des Rittergutes Hellenbroich zurück, das heute nicht mehr besteht. Die Siedlungstätigkeit verstärkte sich nach der Verlandung des Rheinarmes im 13. und 14. Jh. und ließ erst eine dörfliche Siedlung entstehen. Das spätere Schiefbahn gehörte damals zu einem Gemeinwesen, welches sich Underbroich – lateinisch palus inferior – nannte. Mit dem Amt Liedberg kam dieses Gebiet im Jahre 1299 zum Kurfürstentum Köln, dem es bis zur französischen Herrschaft im Jahre 1794 angehörte.

Grundherr in Schiefbahn war der Kölner Erzbischof und Kurfürst, der zugleich auch Zehntherr war. Die Ackerflur bestand vorwiegend aus Bruch- und Heideböden, wie die Flurnamen Niederheide, Schwanenheide, Tupsheide, Diepenbroich und Unterbroich verraten.
Die Bevölkerung war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vorwiegend in der Landwirtschaft tätig. Der karge Boden brachte zwar keine hohen Erträge, dafür boten gemeinsame Nutzungsrechte der Bürger in den großen Brüchen und im Büttgerwald eine wesentliche Verbesserung des Lebensunterhaltes. Diese Brüche, mehr als ein Drittel des Gemeindegebietes, begünstigten Viehzucht und lieferten den Torf.
Die Schiefbahner Bürger durften Laub, Gras, Farnkraut und dürres Holz für den eigenen Gebrauch im Bruch holen. Für den Weidgang war bis 1850 ein Kuh- und Gänsehirt bestellt, der zum Symbol der Gemeinde wurde.

Eine Weideliste des Jahre 1822 nennt 171 Pferde, 470 Kühe und 3.227 Gänse. Am 9. Oktober 1794 wurde Schiefbahn von den Franzosen besetzt, es gehörte als Mairie bis 1708 zum Kanton Neersen.

Nachdem Napoleon fast ganz Europa unterworfen hatte, ordnete er den Bau eines schiffbaren Kanals an. Dieser sogenannte Nordkanal war von Neuss über Schiefbahn und Venlo zur Schelde geplant. Napoleon war so sehr an diesem Projekt interessiert, dass er damals den Niederrhein besuchte und am 12. September 1804 auch in Schiefbahn weilte. Rund zwei Drittel des Kanals waren bereits fertig, als Napoleon 1810 Holland seinem Kaiserreich einverleibte; der Kanal war für ihn plötzlich ohne Interesse. Mit dem Wiener Kongress kam Schiefbahn nach neunzehnjähriger Zugehörigkeit zu Frankreich an Preußen
und wurde 1816 dem Kreise Gladbach im Regierungsbezirk Düsseldorf zugeteilt. Unter der preußischen Regierung wurde der Nordkanal dennoch im Jahre 1823 von Neuss bis Neersen für Schiffe bis zu 15 t schiffbar gemacht. 1876 verkehrte sogar zweimal täglich ein Personenschiff, eine sogenannte Eil-Yacht. Die Schiffe wurde von Pferden gezogen. Bis 1856 fuhr auch noch ein Kohlenschiff, danach diente der Nordkanal lediglich als Entwässerungsgraben.

Eine industrielle Revolution kündigte sich in Schiefbahn mit der Ansiedlung der Mechanischen Seidenweberei der Firma Deuß & Oetker an, den späteren Vereinigten Seidenwebereien, die zur Hauptader des Wirtschaftslebens in der Gemeinde wurden. Mehrfach hat diese Firma ihren Betrieb erweitert, deren Websaal damals der größte in Deutschland war. Dagegen ging die Hausweberei immer mehr zurück, während sich Handwerk, Handel und Gewerbe entwickelten.

Die Einwohnerzahlen Schiefbahns betrugen 1575 rund 400, 1670 rund 800 Einwohner und 160 Häuser, 1763 rd. 1.300 Einwohner, 1849 = 2.300, 1900 = 3.300 und 1930 = 4.500 Einwohner und 670 Häuser, 1961 wohnten mehr als 7.000 Einwohner in Schiefbahn, heute sind es etwa 12.000 in der Altgemeinde.

Schiefbahn war 1548 zur Pfarre erhoben worden, die heutige Pfarrkirche wurde in den Jahren 1853 bis 1855 erbaut. Das Hubertus-Altenstift wurde 1898 als Krankenhaus errichtet und 1964 durch einen Neubau ersetzt. 1962 wurde die Klosterkirche St. Bernhard erbaut.

Seit dem Ende des 18. Jh.s zogen eine Reihe jüdischer Händler nach Schiefbahn. 1809 betrug ihre Zahl 20, 1826 = 52 und 1863 = 56 Israeliten. Die jüdische Gemeinde erbaute sich im Jahre 1858 eine Synagoge an der Straße „Am Tömp“, die 1938 in der sogenannten „Kristallnacht“ zerstört wurde. Um 1939, also bei Kriegsbeginn, lebten in Schiefbahn noch 36 jüdische Mitbürger, die später ausnahmslos deportiert und mit drei Ausnahmen umgebracht wurden. Nur wenige konnte noch rechtzeitig auswandern. Zwei jüdische Friedhöfe zeugen noch heute davon, daß Schiefbahn einmal eine große jüdische Gemeinde hatte. Der im Knickelsdorf 1835 angelegte Friedhof, auf dem heute nur noch fünf Grabsteine stehen, und der jüdische Friedhof am Beertzweg.

1877 wurde die Eisenbahnlinie Gladbach-Schiefbahn/Nord-Krefeld eröffnet und im selben Jahre auch die Strecke von Neuss über Schiefbahn nach Viersen, die 1955 eingestellt wurde. Seit 1910 bestand eine Straßenbahnverbindung von Schiefbahn nach Krefeld (bis 1961) und zehn Jahre später eine weitere Straßenbahnverbindung von M.Gladbach (bis 1957). Seitdem halten Buslinien den Verkehr zu den Nachbarstädten aufrecht.

Erst im Jahre 1825 wurde auch in Schiefbahn eine allgemeine Schulpflicht eingeführt, bis dahin besuchten nur rd. 40 % der Kinder die Schule regelmäßig. 1833 waren noch 12 % der Einwohner Analphabeten und 1871 immerhin noch 8,6%. Erstes Schulgebäude in Schiefbahn war das seit dem 16. Jh. der Kirche gehörende alte Küsterhaus.

Erst 1870/71 wurde ein großes Schulgebäude mit sechs Klassen und vier Wohnungen erbaut, welches 1968 abgerissen wurde. Die Niederheide erhielt 1898 eine zweiklassige Schule; 1911 wurde eine Volksschule an der Schillerstraße mit zunächst zwei Klassen errichtet.
So bestanden bis 1945 drei Schulen im Ort, dann wurde zunächst die Hubertusschule um eine Reihe von Klassen erweitert,

1952 eine Evangelische Volksschule errichtet, 1965 folgte die Jahnschule als Hauptschule und als Sonderschule für Lernbehinderte die Pestalozzi-Schule. Das 1954 errichtete Pro-Gymnasium der Oblaten-Patres führte zur Einrichtung des Gymnasiums St. Bernhard, eine Realschule rundet das schulische Angebot ab.

Die schweren Kämpfe um Schiefbahn am 1. März 1945, in denen sich die Reste der deutschen Armee mit amerikanischen Einheiten außerordentlich blutige Kämpfe lieferten, sind vielen Älteren noch in Erinnerung.

Am 23. Februar 1945 eröffneten die Amerikaner mit ihrer „Operation Grenade“ den Angriff auf den Rhein; sie zingelten am letzten Februartag Mönchengladbach ein, aus dem Kessel führte nur noch die Straßenverbindung über Neersen nach Krefeld. In der Nacht zum 1. März führten eiligst herangezogene deutsche Panzerverbände einen Gegenstoß in das schon von den Amerikanern besetzte Schiefbahn aus, um den Fluchtweg möglichst lange offenzuhalten. Gegen 21.00 Uhr war Schiefbahn wieder zur Hälfte in deutscher Hand. Bis gegen 2.00 Uhr am Morgen tobte in der Gemeinde ein heftiger Panzer- und Straßenkampf,
dem 28 deutsche Soldaten und mehr als 100 amerikanische Soldaten zum Opfer fielen. 22 schwere amerikanische Panzer wurden allein in Schiefbahn zerstört. Bei diesen Kämpfen kamen auch sieben deutsche Zivilisten zu Tode. Diese Kämpfe sind in dem Buch „Der Krieg geht zu Ende“ ausführlich geschildert.

Durch das Neugliederungsgesetz wurde auch der Kreis Kempen-Krefeld
und damit die Gemeinde Schiefbahn aufgelöst; am 1. Januar 1970 wurden die Gemeinden Willich, Anrath, Schiefbahn und Neersen zu einer neuen Gemeinde mit dem Namen Stadt Willich zusammengeschlossen.